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F&E 2026: Diese fünf Trends sollten Sie kennen

Materialentwicklung 2026: Die 5 wichtigsten F&E-Trends

Welche Trends prägen die Materialentwicklung im Jahr 2026? Vieles deutet darauf hin, dass Forschung und industrielle F&E vor einem Jahr stehen in dem sich mehrere Entwicklungen gegenseitig verstärken. Auf der einen Seite wächst der Druck, Materialien schneller, nachhaltiger und präziser zu entwickeln. Auf der anderen Seite entstehen neue wissenschaftliche und technologische Möglichkeiten: von KI-gestützten Analyseverfahren bis hin zu biologisch aktiven Werkstoffen.

In dieser dynamischen Situation werden fünf Trends besonders sichtbar. Sie setzen an unterschiedlichen Stellen des Entwicklungsprozesses an und erweitern das Spektrum dessen, was in der Materialwissenschaft möglich wird. Dazu gehören neue Werkstoffkonzepte, datenorientierte Methoden und fortschrittliche Charakterisierungstechniken, die gemeinsam den Weg der Materialentwicklung im Jahr 2026 prägen.

Damit wird deutlich, dass die Materialforschung 2026 stärker datenbasiert, interdisziplinärer und methodisch breiter aufgestellt sein wird als in den Jahren zuvor. KI und digitale Forschungsumgebungen verändern die Art, wie Materialien entwickelt, charakterisiert und bewertet werden. Gleichzeitig entstehen durch biologische und multifunktionale Materialsysteme völlig neue Gestaltungsmöglichkeiten.

Dieser Trendbericht zeigt, welche technologischen Entwicklungen dabei besonders prägend sind – und welche Rolle sie bereits heute für F&E-Teams spielen.

Trend 1: Biobasierte und lebende Materialien

Ein zentraler Forschungsschwerpunkt für 2026 sind biobasierte und lebende Materialien. Sie unterscheiden sich grundlegend von klassischen metallischen oder polymeren Werkstoffen, da sie biologische Komponenten integrieren und dadurch aktive Funktionen übernehmen können. Das Fraunhofer INT beschreibt dies so: „Living Materials eröffnen eine Vielzahl neuer Anwendungsmöglichkeiten wie z. B. selbstheilende Baumaterialien, intelligente Verpackungsmaterialien, künstliche Blätter zur nachhaltigen Energiegewinnung oder personalisierte Medikamentenabgabesysteme.“ [1]

Charakteristisch für solche Materialien ist ihre Fähigkeit, aktiv auf Umweltreize zu reagieren, sich teilweise zu regenerieren oder chemische Prozesse eigenständig auszuführen. Damit verleihen sie nichtlebender Materie Eigenschaften, die bislang nur biologischen Systemen vorbehalten waren, wie etwa Wachstum, Selbstheilung oder adaptive Anpassungen.

Die wissenschaftlichen Ansätze reichen von bioinspirierten Polymeren bis hin zu hybriden Materialien, in denen Bakterien, Hefen oder Mikroalgen gezielt eingesetzt werden. Ein häufig untersuchtes Beispiel sind lebende Baustoffe auf Basis von Cyanobakterien [2,3]. Dabei werden photosynthetisch aktive Bakterien auf ein Gerüst aus Sand und Gelatine aufgebracht. Die Gelatine dient als Feuchtigkeits- und Nährstoffquelle, während die Bakterien CO₂ aufnehmen und Calciumcarbonat bilden. Dadurch entsteht ein Mineralisierungsprozess, der das Material verfestigt. Bemerkenswert ist die Wachstumsfähigkeit: Wird ein solcher Stein geteilt und erneut mit Nährstoffen versorgt, können beide Hälften weiterwachsen und durch fortgesetzte Biomineralisation erneut verfestigt werden. Dieser Prozess lässt sich sogar über mehrere Zyklen hinweg wiederholen. Das Material entsteht unter CO₂-Aufnahme, während die herkömmliche Zementproduktion erhebliche Emissionen verursacht.

Auch andere Forschungsarbeiten zeigen das Potenzial dieser Materialklasse. In symbiotischen Kulturen erzeugen Bakterien beispielsweise Zellulosegerüste, in die gentechnisch modifizierte Hefen integriert sind. Diese können Enzyme bereitstellen, die Schadstoffe erkennen oder abbauen, oder Verpackungsmaterialien ermöglichen, die sich nach Gebrauch selbst zersetzen. Ein weiterer Ansatz nutzt Bakterienzellulose als Träger für Mikroalgen, um künstliche Blätter herzustellen, die Energie über Photosynthese gewinnen und als vollständig biologisch abbaubares Textil Anwendung finden könnten.

Für F&E-Teams entsteht dadurch ein neuer Gestaltungsspielraum: Materialdesign umfasst zunehmend biologische Mechanismen und deren Dynamik. Die Kombination aus technischer Struktur und zellulärer Aktivität ermöglicht Eigenschaften, die mit konventionellen Werkstoffen kaum erreichbar sind. Dies sind beispielsweise selbstheilende Oberflächen, adaptive Reaktionen oder kontrollierte Freisetzungsprozesse. Zugleich bleibt die Frage der Sicherheit ein zentrales Thema, insbesondere beim Einsatz gentechnisch veränderter Organismen.

Trend 2: Agentic AI

Unter dem Begriff Agentic AI wird eine neue Klasse von KI-Systemen verstanden, die nicht nur Daten analysiert oder visualisiert, sondern eigenständig Schritte in längeren Arbeitsprozessen ausführen kann [4] . Diese Systeme besitzen die Fähigkeit, die Ziele eines Forschungsprojekts zu verstehen, Informationen aus verschiedenen Quellen zu kombinieren und daraus Handlungen abzuleiten.

Im Unterschied zu klassischem Machine Learning, das auf trainierten Modellen basiert und stark von vorhandenen Datensätzen abhängt, kann Agentic AI auch ohne spezielles Task-Training arbeiten und orientiert sich primär an Zielvorgaben und Prozesslogik.

Die Entscheidungsverantwortung verbleibt vollständig beim Menschen. Statt menschliche Expertise zu ersetzen, arbeiten sie als aktiver Teil eines Arbeitsablaufs mit und unterstützen Fachleute dort, wo Tätigkeiten zeitaufwendig, wiederholend oder informationsintensiv sind.

Für Forschungsteams bedeutet das: Agentic AI kann Rechercheprozesse strukturieren, Hypothesen vorbereiten, Daten konsolidieren oder Dokumentationsschritte übernehmen. Ein häufig genutztes Beispiel ist die experimentelle Planung: Die KI durchsucht vorhandene Protokolle, fasst relevante Parameter zusammen und schlägt auf Basis historischer Daten mögliche Versuchsvarianten vor.

Bei LabV wird dieser Ansatz als Co-Entwickler beschrieben. Er ist kein autonomes System, sondern ein Assistenzwerkzeug, das typische Engpässe in der Materialentwicklung entschärft. Dazu gehören etwa das Zusammenführen von Prüfdaten, das Erstellen erster Berichtsentwürfe oder das Auffinden relevanter Informationen aus früheren Projekten. Agentic AI macht vorhandenes Wissen in einer Geschwindigkeit nutzbar, die manuell kaum erreichbar wäre. Für R&D-Teams entsteht dadurch ein praktisches Werkzeug, das Orientierung schafft und Arbeitsprozesse spürbar entlastet. Die fachliche Verantwortung verbleibt vollständig bei den Forschenden, während die KI Routinen automatisiert und Informationen zielgerichtet bereitstellt. Agentic AI wird damit zu einem realistischen und sofort einsetzbaren Baustein moderner Materialentwicklung.

Trend 3: Datenzentrierte Materialentwicklung

Die digitale Transformation verändert die Materialwissenschaft grundlegend [5] . Das European Materials Modelling Council (EMMC) ist ein europäisches Netzwerk von Forschungseinrichtungen, Industriepartnern und politischen Stakeholdern. In seiner Roadmap „On the Digital Transformation of Materials Science“ beschreibt das EMMC den aktuellen Wandel als Übergang zu Forschungsumgebungen, in denen durchgängige Dateninfrastrukturen, FAIR-Prinzipien und integrierte Workflows aus Experiment, Simulation und KI die Grundlage bilden [6] . Daten werden damit in der F&E zu einem zentralen Baustein.  Laborprozesse entwickeln sich so weg von getrennten Einzelschritten hin zu integrierten, interoperablen und stärker automatisierten Workflows.

Machine Learning, Material-Intelligence-Ansätze und Materials Acceleration Plattformen setzen dabei auf integrierte Datenstrukturen, in denen Experimente, Simulationen und weitere Datenquellen systematisch verbunden werden. Material Intelligence beschreibt die Fähigkeit, heterogene Materialdaten nutzbar zu machen und daraus verwertbare Erkenntnisse für die F&E abzuleiten. Für die Industrie bedeutet das einen Paradigmenwechsel hin zu datenorientierten Prozessen, die die Entwicklungszyklen verkürzen werden.

Trend 4: Datenintensive und in-situ-basierte Materialcharakterisierung

Die Materialcharakterisierung entwickelt sich von statischen Einzelmessungen zu dynamischen, datengestützten Analyseprozessen, wie ML-basierte High-Throughput- und in-situ-Methoden zeigen [6,7]. Moderne Labore arbeiten zunehmend mit Methoden, die Materialverhalten in drei Dimensionen und unter realen Betriebsbedingungen erfassen. Dazu gehören in-situ-Untersuchungen während mechanischer Belastung, thermischer Zyklen oder chemischer Reaktionen sowie hochauflösende und hochfrequente Bildgebung.

Die entstehenden Datenmengen sind komplex und erfordern fortschrittliche Auswertungsansätze bis hin zu Machine Learning. Für F&E-Teams entsteht ein deutlicher Mehrwert, weil sich ortsabhängige Materialveränderungen – etwa lokale Rissbildungen, Spannungen oder Mikroreaktionen – sowie das Verhalten an Phasen- und Grenzflächen wesentlich präziser erfassen lassen. Die Branche bewegt sich klar in Richtung kontinuierlicher, datenreicher Charakterisierung, die schnellere Entwicklungszyklen und fundiertere Materialentscheidungen ermöglichen dürfte.

Trend 5: Multifunktionale Materialien

Moderne Anwendungen verlangen zunehmend Werkstoffe, die mehrere Funktionen gleichzeitig erfüllen. Dieser Bedarf lenkt den Fokus der Forschung auf Materialsysteme, die verschiedene physikalische, chemische oder strukturelle Eigenschaften gezielt kombinieren – etwa durch laserstrukturierte Schichten, nanostrukturierte Oberflächen oder neuartige Beschichtungssysteme für Korrosionsschutz, Reibungsreduktion oder Energieumwandlung [8] .

Ein besonders anschauliches Beispiel liefern die metall-organischen Gerüstverbindungen (MOFs), die 2025 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurden. Forschende der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg arbeiten seit Jahren an dieser hochporösen Materialklasse, die aufgrund ihrer enormen inneren Oberfläche und strukturellen Variabilität als „molekulare Schwämme“ beschrieben wird. „MOFs können Wärme, Kälte oder Gase speichern, chemische Reaktionen steuern und CO₂ aus Abgasen herausfiltern. Das macht sie zu einem Schlüsselmaterial für die Energiewende“, sagt Prof. Franziska Scheffler in einer Pressemitteilung der Universität Magdeburg [9] . Diese Multifunktionalität zeigt exemplarisch, wie sich Materialdesign hin zu integrierten Funktionsplattformen entwickelt.

Für Forschungsteams bedeutet das einen Perspektivwechsel: Die Leistungsfähigkeit eines Materials ergibt sich zunehmend aus dem Zusammenspiel verschiedener Mechanismen und Funktionen. Dieser Ansatz eröffnet neue Möglichkeiten, Werkstoffe so zu gestalten, dass sie mehrere Anforderungen gleichzeitig erfüllen.

Fazit

Die Materialentwicklung 2026 wird von fünf zentralen Trends geprägt, die Forschung und industrielle F&E nachhaltig verändern. Biobasierte und lebende Materialien erweitern das Spektrum funktionaler Werkstoffe, während Agentic AI Forschungsteams bei datenintensiven Aufgaben unterstützt und Entscheidungen beschleunigt.

Datenzentrierte Methoden bilden die Grundlage dieser Entwicklung. Sie ermöglichen vernetzte Workflows, reproduzierbare Ergebnisse und fundierte Analysen. Ergänzend liefern moderne in-situ- und High-Throughput-Methoden ein deutlich präziseres Verständnis von Materialverhalten unter realen Betriebsbedingungen.

Multifunktionale Materialien, darunter die 2025 mit dem Nobelpreis ausgezeichneten MOFs, zeigen, wie eng Leistungsfähigkeit, Nachhaltigkeit und Systemintegration künftig zusammengedacht werden müssen.

Für F&E-Teams bedeutet das: Materialentwicklung wird datenorientierter, KI-gestützt und interdisziplinärer. Wer diese Trends früh adaptiert, verbessert Innovationsgeschwindigkeit, Qualität und Wettbewerbsfähigkeit.

Referenzen

[1] Fraunhofer INT – Living Materials: Neue Anwendungsmöglichkeiten biologisch aktiver Werkstoffe
https://www.int.fraunhofer.de/de/geschaeftsfelder/corporate-technology-foresight/trend-news/living-materials.html

[2] Nguyen, P.Q. et al. – Engineered Living Materials: Prospects and Challenges.
ScienceDirect (2019).
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2590238519303911

[3] Scientific American – Bacteria-Filled Bricks Build Themselves
https://www.scientificamerican.com/article/bacteria-filled-bricks-build-themselves/

[4] Wikipedia – Agentic AI
https://en.wikipedia.org/wiki/Agentic_AI

[5] Springer Professional – „Wir stehen erst am Anfang der Entdeckung neuer Materialien“
https://www.springerprofessional.de/materialentwicklung/metalle/-wir-stehen-erst-am-anfang-der-entdeckung-neuer-materialien-/24631018

[6] European Materials Modelling Council (EMMC) – On the Digital Transformation of Materials Science (Roadmap)
https://emmc.eu/wp-content/uploads/digital-transformation-of-materials-science.pdf

[7] Wiley – Foundations of Data-Driven Materials Characterization
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/gamm.202100003

[8] Nature – Advances in In Situ Characterization
https://www.nature.com/articles/s43246-024-00487-3

[9] Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg – Pressemitteilung zu metall-organischen Gerüstverbindungen (MOFs)
https://www.ovgu.de/-p-149270.html

FAQ

1. Welche fünf Trends prägen die Materialentwicklung im Jahr 2026?

Die Materialentwicklung 2026 wird von fünf zentralen Trends bestimmt: biobasierte und lebende Materialien, Agentic AI, datenorientierte Forschungsprozesse, datenintensive und in- situ-basierte Charakterisierung sowie multifunktionale Werkstoffe wie MOFs. Gemeinsam erweitern sie die Möglichkeiten der Materialentwicklung – von neuen Werkstoffkonzepten über datenbasierte Analyseverfahren bis hin zu präziseren Bewertungsmethoden.

2. Welche Rolle spielt KI in der Materialwissenschaft 2026?

KI – insbesondere Agentic AI – unterstützt Forschungsteams bei datenintensiven Aufgaben wie Analyse, Dokumentation und Versuchsauswertung. Sie ersetzt keine Expertise, beschleunigt jedoch Arbeitsabläufe und verbessert die Nutzung vorhandener Materialdaten.

3. Warum werden datenorientierte Methoden für F&E immer wichtiger?

Datenzentrierte Ansätze ermöglichen vernetzte Workflows, reproduzierbare Ergebnisse und bessere Entscheidungsgrundlagen. Durch FAIR-Prinzipien, Ontologien und integrierte Dateninfrastrukturen können Experimente, Simulationen und KI-Auswertungen effizient kombiniert werden.

4. Was bedeutet in-situ oder datenintensive Materialcharakterisierung?

In-situ-Methoden erfassen Materialverhalten unter realen Bedingungen und ermöglichen damit ein deutlich präziseres Verständnis lokaler und transienter Effekte. Die großen Datenmengen machen KI-gestützte Analyseverfahren notwendig, weil sich daraus detailliertere Informationen über lokale und zeitabhängige Materialveränderungen ableiten lassen. Diese zusätzlichen Erkenntnisse führen zu belastbareren Modellen und besser fundierten Vorhersagen.

5. Warum gelten multifunktionale Materialien als besonders zukunftsrelevant?

Moderne Anwendungen verlangen Werkstoffe, die mehrere Funktionen gleichzeitig erfüllen. Multifunktionale Materialien wie MOFs verbinden hohe Leistungsfähigkeit mit Nachhaltigkeit und Systemintegration. Sie sind daher Schlüsselmaterialien für Bereiche wie Energie, Mobilität, Sensorik und Umwelttechnik.

Autor: Dr. Marc Egelhofer

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